Schwester Hedwig Jöhl

„Den Menschen nahe sein“

Schwester Hedwig Jöhl

„Gehorsam ist ein gemeinsames Suchen nach dem Willen Gottes. Das ist schon was anderes, als einfach nur einem Vorgesetzten gehorchen.“

Glaube spielte im Leben von Schwester Hedwig schon immer eine große Rolle. Gemeinsam mit ihren neun Geschwistern ist sie in einer religiösen Familie aufgewachsen. „Mein Vater hat das Gottvertrauen vorgelebt und meine Mutter die Gerechtigkeit.“ Kein Wunder, dass ihre Eltern dem Eintritt in den Orden positiv gegenüberstanden.

Nach Abschluss der Sekundarstufe hatte Schwester Hedwig noch ganz andere Pläne für ihr Leben. „Ich wollte Kinderkrankenschwester werden, hatte aber noch nicht das erforderliche Alter von 18 Jahren.“ Deshalb entschied sie sich zunächst für ein Welschlandjahr, um französisch zu lernen. „In dieser Zeit lernte ich ein Mädchen kennen, das anschließend in ein Kloster gegangen ist. Und da wusste ich: Nächstes Jahr mache ich das auch. Das empfand ich als eine göttliche Eingebung und ich bin diesem Ruf gefolgt.“

Im Anschluss an ihr Noviziat in Altstätten ging Schwester Hedwig für rund 18 Monate nach Strasbourg, wo sie eine Mädchengruppe betreute (damals gehörten die Klöster der Schweiz zur Provinz Strasbourg). Die damalige Provinzoberin sagte ihr, dass sie das Lehrerseminar besuchen soll, und so legte sie die Aufnahmeprüfung für das Lehrerseminar ab und erhielt nach vier Jahren ihr Primarlehrerpatent. Danach absolvierte sie eine vierjährige berufsbegleitende Weiterbildung zum Reallehrer, um auf dieser Basis bis zum Jahr 1978 Schülerinnen der siebten und achten Klasse zu unterrichten. „Danach konnte man schon absehen, dass zu wenige junge und gut ausgebildete Schwestern nachkommen, und ich wurde nach Fribourg geschickt.“

Dort arbeitete sie ein Jahr lang in der Küche, woran sie sehr gute Erinnerungen hat. „Wir hatten eine Köchin mit viel Humor und ich konnte Brot backen.“ 1980 wurde sie dann nach Altstätten berufen, um dort für ein Jahr die Leitung zu übernehmen. „Schule und Heim wurden damals geschlossen und wir waren auf der Suche nach neuen Aufgaben“, erinnert sie sich. Für Schwester Hedwig ergab sich 1981 die Chance, die Leitung des „Pro Filia Wohnhauses Baden“ im Kanton Aargau zu übernehmen. „In dem Haus wohnten Frauen aus rund 50 Nationen, junge Frauen in Ausbildung und Studium, Praktikantinnen aus aller Welt, berufstätige Frauen und Frauen in Übergangssituationen.

Neun Jahre später kündigten sich weitere große Veränderungen an: „1990 wussten wir bereits, dass die Provinzen Österreich und Schweiz zusammenkommen sollten.“ In dieser Situation wurde Schwester Hedwig, die zuvor schon einige Jahre im Provinzrat mitgewirkt hatte, zur Provinzoberin der Schweiz ernannt. Gemeinsam mit ihren Mitschwestern wurde in den Folgejahren die Zusammenlegung der Provinz Schweiz mit Österreich in die Wege geleitet, was 1994 abgeschlossen werden konnte. Anschließend wechselte sie in das deutsche Sekretariat des Generalats in Rom.

„Ich habe schnell gemerkt, dass mich diese Arbeit entfremdet, da sie mir zu wenig Kontakt zu den Menschen bot. Die damalige Provinzleiterin bot mir zum Glück genügend Freiraum, um mir eine neue Herausforderung zu suchen.“ Diese fand sie in Arosa als Haushälterin des dortigen Pfarrers. Bereits eine Woche nach ihrer Bewerbung war sie wieder fest angestellt und freute sich über die gewonnenen Freiräume: „Ich durfte bei ihm predigen und Beerdigungen durchführen. Außerdem gab ich in einem kleinen Dorf außerhalb von Arosa Katechese.“ Um diese Arbeit auf ein breiteres Fundament zu stellen, absolvierte sie damals parallel einen Theologiekurs in Österreich, der mit einer Ausbildung zum Diakon vergleichbar ist. „Damals bin ich immer von Arosa gependelt und habe abends gelernt, aber auf Dauer hat mein Körper den Höhenunterschied nicht gut vertragen.“

Vor diesem Hintergrund musste sie eine Entscheidung treffen und sie suchte sich eine ähnliche Anstellung in Zürich. Es folgten drei Jahre in Schönbühl bei Bern, wo sie im Turnus mit dem Team des Seelsorgekreises am Samstag und Sonntag vier Gottesdienste halten, Beerdigungen und Taufen vorbereiten und durchführen durfte – letzteres nur in Abwesenheit eines Priesters. „Dabei bin ich den Menschen sehr nah gekommen. Diese Arbeit habe ich geliebt.“ Ihre nächste berufliche Station führte sie in die Zentralschweiz zu einem weiteren Pfarrer, der ihr ebenfalls großes Vertrauen schenkte. Nach dessen Pensionierung kündigte sich für Schwester Hedwig die nächste große Veränderung an.

„Die Generaloberin teilte mir mit, dass der Orden für die NGO einen neuen Standort in Genf einrichten wolle, um die Schwestern vom Guten Hirten im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu vertreten. Nach gründlichen Exerzitien sagte ich zu und reiste daraufhin für ein halbes Jahr nach England, um Englisch zu lernen,“ berichtet Schwester Hedwig. 2007 kam sie nach Genf, wo damals der Menschenrechtsrat seine Arbeit begonnen hatte. „Ich war von Anfang an dabei und versuchte, meine Mitschwestern aus allen Ländern zu Berichten über die Missstände in ihrer Region zu motivieren.“

Mittlerweile tagt der Rat fast das ganze Jahr und man kann dort schriftliche oder mündliche Statements abgeben. 2016 wurde Schwester Hedwig in Genf von einer Mitschwester abgelöst, so dass sie sich mittlerweile zur Ruhe setzen konnte. Jetzt ist sie Mitglied im Provinzrat und engagiert sich in einer Bibelgruppe für Erwachsene. „Das ist mein Leben.“

Ihre Botschaft an ihre Mitmenschen basiert auf Johannes dem Täufer, der für Schwester Hedwig eine große Vorbildfunktion erfüllt: „Man muss wie er furchtlos seinen Weg gehen. Menschen sollten es wagen, ihre Gedanken zu äußern und auf Dinge hinzuweisen, die einen stören.“ Ob dies nicht ein Widerspruch zum Gehorsam sei? „Das kommt darauf an. Gehorsam ist ein gemeinsames Suchen nach dem Willen Gottes. Das ist schon was anderes, als einfach nur einem Vorgesetzten gehorchen.“

„Man muss furchtlos seinen Weg gehen. Menschen sollten es wagen, ihre Gedanken zu äußern und auf Dinge hinzuweisen, die einen stören.“