„Niemand im Stich lassen”
Myriam Sturny im Portrait
„Wir haben hier noch viel Zeit für die Menschen.“
Myriam Sturny leitet seit 2013 das Kloster der Schwestern vom Guten Hirten in Fribourg. Als erste „Weltliche“ in der Geschichte der Provinz Österreich – Schweiz – Tschechien verantwortet sie das Tagesgeschäft, organisiert die kaufmännische Abwicklung, ist Vorgesetzte des Pflegepersonals und Ansprechpartnerin für die Sorgen und Nöte der verbliebenen pflegebedürftigen Schwestern und Ordensmänner.
Geplant war alles ganz anders: „Ich gehe in kein Kloster. Ich war als Kind in einer Klosterschule und das war genug,“ erinnert sich Myriam Sturny an ihre damaligen Gedanken, als ihr 2010 erstmals eine feste Anstellung bei den Schwestern vom Guten Hirten angeboten wurde. Zuvor war sie bereits mehrfach eingesprungen, als sie von der damaligen Oberin Schwester Alberta um Hilfe gerufen wurde. „Damals habe ich mich um alles gekümmert, was bei Sterbefällen zu erledigen war, wie zum Beispiel das Waschen und Einkleiden der Verstorbenen.“
Als Schwester Alberta ihre Funktion als Oberin aus gesundheitlichen Gründen abgeben musste, kam Frau Myriam als ihre Nachfolgerin in Betracht. Die Provinzleiterin Schwester Melitta Fragner bat sie im Februar 2013 mit Nachdruck, sich dieser Herausforderung zu stellen. „Mein Mann hatte mich damals zu diesem Schritt ermuntert, zumal ich ohnehin schon fast jeden Tag im Kloster gearbeitet habe.“ Damals beschäftigte das Kloster 30 Teilzeitangestellte und beherbergte rund zehn Schwestern. „Das war ein Kleinunternehmen mit 40 Personen und ich wusste nicht so genau, was da auf mich zukam.“ Aber sie komme schließlich aus einer Großfamilie und wisse, wie man arbeitet.
Damals notierte sie sich, welche Eigenschaften die Leiterin eines Frauenklosters mitbringen müsse. Nach ihrer Überzeugung verlange diese Position auf jeden Fall „eine weibliche Koordinatorin mit viel Geduld, großem Verantwortungsgefühl und Offenheit für das Klosterleben“. Als Basisqualifikation sei eine fundierte Ausbildung in den Bereichen Pflege, Hausdienst und Büroführung sowie eine gewisse Lebenserfahrung gefordert. Zudem müsse sie Verständnis für das spirituelle Suchen der Schwestern aufbringen und eine „gewisse Mütterlichkeit“ ausstrahlen. Hinzu komme die Fähigkeit, ein offenes Ohr für jede einzelne Person zu haben und bei Konflikten beherzt einzuschreiten und zu schlichten. Schließlich müsse das „Wohlergehen der Bewohner höchste Priorität besitzen“.
Die Aufgabenteilung im Kloster ist seit 2013 klar definiert: Schwester Margaretha verantwortet Sakristei und Kapelle, alles Übrige übernimmt Frau Myriam. „Für die Schwestern war das zunächst ein Schock. Eine Oberin ist wie eine Mutter, die 24 Stunden am Tag ansprechbar ist. Und jetzt kam eine Laiin, die keine Ahnung hat.“ Das erste Jahr war hart, bis die Schwestern Vertrauen zu ihr fassten. Nur das Spirituelle könne sie ihnen nicht bieten.
Großes Vertrauen genießt sie auch seitens der Provinzleiterin. „Schwester Melitta lässt mir alle Freiheiten und steht hinter mir.“ Das galt auch, als vor ein paar Jahren die ersten pflegebedürften Ordensmänner ins Kloster einzogen. „Wir mussten uns öffnen, um zusätzliche Einnahmen für die Pflege zu erzielen und vor allem im Sinne des Charismas Bleibemöglichkeiten für die Ordensmänner zu bieten – welches in der näheren Umgebung fast unmöglich war.“ Derzeit wohnen in Fribourg-Übewill ein Salvatorianer, ein Jesuit und zwei „weiße Väter“ (Missionare), die je nach Pflegebedarf einen festen Tagestarif bezahlen und sich nach Kräften im klösterlichen Alltag einbringen. So leisten die Mitarbeiterinnen für Schwestern und Ordensmänner die Hospizarbeit. „Pater Paul kam 2014 eigentlich nur noch zum Sterben zu uns und heute lebt er immer noch“, berichtet Myriam, die diesen Umstand auf die angenehme und entspannte Wohn- und Gemeinschaftssituationzurückführt. „Wir haben hier noch viel Zeit für die Menschen.“
Nach rund zehn Jahren als Leiterin des Klosters Fribourg sind ihr die Bewohner und Mitarbeiterinnen längst ans Herz gewachsen, was natürlich auch auf Gegenseitigkeit beruht. Obwohl sie 2020 eigentlich schon pensioniert worden wäre, möchte Myriam „bis zur Schließung des Klosters für ihre Schützlinge da sein.“ Zu dieser Motivation tragen viele positive und wertvolle Erfahrungen bei, die sie persönlich sehr bereichert haben. So habe ihr eine „sehr temperamentvolle“, im Sterben liegende Schwester am Neujahrstag gesagt, dass sie gar nicht gewusst habe, dass „es so einfach ist zu gehen.“ Im Tod haben sie dann völlig friedvoll und um 10 Jahre jünger ausgesehen.
Ein weiteres Beispiel berichtet sie von einer Schwester, die am Ende ihres Lebens dement war und nur noch „Nein“ oder „Ja“ sagen konnte. „Als ihr dann unsere dunkelhäutige Krankenschwester mittags den Tee einschenken wollte, fing sie plötzlich an zu sprechen: „Nehmen Sie sich zuerst, denn Sie kommen von weither“. Für Myriam ist dies der beste Beweis, dass auch Menschen mit Demenz noch viel von ihrer Umwelt mitbekommen. Schon deshalb will sie niemanden im Stich lassen.